Die Nacht war wieder sternenklar. Und eisekalt. Aber an diesem Morgen können wir geradezu ausschlafen – die Abfahrt ist erst um sieben Uhr. Als wir dann im Minibus sitzen und der George Gills Range entgegenfahren, steigt vor uns die Sonne empor und beginnt auf ein Neues damit, die Wüstenlandschaft aufzuheizen. Vom Boden steigt leichter Nebel auf.
Laut Duckie ein seltenes Phänomen.
Schon bald passieren wir die Grenze zum Watarrka National Park. Hier wollen wir an diesem klaren Vormittag die größte Attraktion des Nationalparks erwandern: den Kings Canyon. Vor uns liegt ein Weg von mehr als sechs Kilometern, einmal um diese großartige Schlucht herum. Immer an der Kante entlang.
Duckie verspricht uns einen “phenomenal walk”. Und merkt an, dass er bei seiner ersten Tour hier über 600 Fotos gemacht hat. Als er das sagt, kommt bei mir ein vertrautes Gefühl auf.
Zu Beginn muss jedoch erstmal eine kleine Kraftanstrengung bewältigt werden, denn um auf die Höhe der Kante zu kommen, geht es zunächst recht steil bergauf.
Das Stück wird auch liebevoll Heartattack Hill genannt...
Oben angekommen wird man mit zweierlei Dingen belohnt. Zum einen mit einem kräftig warmen Körper, was bei den momentan herrschenden fünf Grad ganz angenehm ist. Und zum anderen mit einer wunderschönen Landschaft: Bienenwaben-artige, im vertrauten Rot gefärbte Felsen umgeben uns, werden von Vegetationsbändern aus Spinifex-Gräsern und Eukalyptusbäumen durchzogen und vom tiefblauen Outbackhimmel überspannt.
-
Ja, Bienenwaben ist wohl das treffenste Wort für diese Formationen.
-
Totes und lebendes Holz stehen in dieser lebensfeindlichen Umgebung nah beieinander.
-
An diesen Felsen hat die Natur über Jahrtausende geschliffen.
-
Immer wieder zeigen sich diese Blüten mit ihrem kräftigen Gelb.
-
Die vereinte Familie Friedrich posiert vor dieser beeindruckenden Landschaft :-)
-
Selbst in exponiertesten Lagen krallen sich Bäume in den Fels.
-
Doch manchmal geht ihnen das Wasser aus – und zurück bleibt ein Gerippe.
-
Diese Ablagerungen zeugen von der langen Geschichte des Gesteins.
Dieser Eukalyptus dort vorne sieht schick und einladend aus. Als Nachtlager sollte man ihn allerdings besser meiden. Seine Art hat den berüchtigten Beinamen Widow Maker – Witwenmacher. Wenn er Not leidet, zum Beispiel wegen Wassermangels, kann es nämlich vorkommen, dass er sich denkt: “Nööö, diesen Ast da hinten, den kann ich nicht mehr unterhalten. Und eigentlich brauch ich den auch gar nicht. Also weg damit.” Und plumps, fällt das Ding ohne jegliche Vorwarnung vom Stamm.
Für den darunter nächtigenden Swagman fatal.
Die Gefahr droht von dem etwas dunkleren Ast auf der linken Bildseite...
Das bestätigt wieder einmal das scherzhafte Sprichwort der Australier über ihr Land: Wenn etwas so aussieht, als könne es dich töten, dann kann es das vermutlich. Wenn etwas jedoch NICHT so aussieht, als könne es dich töten, dann kann es das GANZ BESTIMMT! (Siehe dazu auch die Artikel über Dropbears in verschiedenen Nachschlagewerken – ernsthaft, rumalbernd oder ein Zwischending.)
Wir wandern weiter über die Plateaus, die den Canyon säumen. Noch haben wir die spektakulär abfallende Felskante nicht gesehen. Aber jetzt kommen wir dran. Duckie mahnt uns, nicht dichter als zwei Meter an den Rand zu gehen. Und tatsächlich – es geht ganz schön tief runter…
Vor lauter Staunen hab ich noch nichtmal vernünftige Bilder machen können. Dieses hier ist von meinem Papa.
Von nun an wird auch das Terrain, auf dem wir laufen, wieder etwas steiler. Wir wollen auf die andere Seite, um dort unseren Weg fortzusetzen. Durch das Tal des Canyons fließt jedoch der Kings Creek – dieser Bach ist zwar nicht gerade riesig, aber durch sein jahrtausendelanges Werkeln hat er sich soweit in den Boden eingefressen, dass er ein Hindernis darstellt. Der einzige Weg führt über die Brücke, die den Canyon überspannt.
Dieses Foto ist entstand nach der Überquerung. Davor mussten wir erstmal die hier sichtbare Felswand runterkommen.
"Etwas" steiler war vielleicht etwas untertrieben. Aber für die Touristen wurde es entschärft.
Auf der anderen Seite angekommen zweigt ein Weg ab, der zu einem Wasserloch führt. Dieses ist mit Garden of Eden nicht gerade zurückhalten ausgeschildert. Aus der Sicht des Lebens hier ist es aber wohl korrekt, denn dieses Billabong (das heißt Wasserloch in einer der Aborigine-Sprachen – die Marke hat das Wort dort geklaut) führt ganzjährig Wasser. Damit ist es eine Oase für Pflanzen und Tiere, die es als wichtige Rückzugsstelle nutzen.
Es ist rundherum von 50 Meter hohen Felswänden quasi eingekesselt, was ein Mikroklima erzeugt. Hier unten ist es bestimmt fünf Grad kühler als rundherum – und schattig. An heißen Tagen ist das bestimmt sehr willkommen. Man dürfte hier sogar baden. Allerdings ist das wohl bei höheren Temperaturen und höherem Wasserstand ein größeres Vergnügen als jetzt.
Dies ist nur ein kleiner Teil - das eigentliche Wasserloch ist noch deutlich größer.
Nach einer kurzen Rast mit Keksen und Müsliriegeln steigen wir wieder hinauf. Oben angekommen werden die uns umgebenden Felsformationen noch ein bisschen bizarrer. Und schließlich kommen wir am Top-Aussichtspunkt an, denn hier offenbart der Kings Canyon seine gesamte Größe. Eine gewaltige rote Wand präsentiert sich vor uns:
Majestätisch ragt sie mehr als hundert Meter empor...
... und bildet rund um das Wasserloch einen riesigen Kessel. Die kleinen Figürchen da rechts oben sind übrigens Menschen.
Wir brauchen einige Zeit, um diese exorbitanten Maßstäbe aufzunehmen und verwirklichen zu können. Hier hat Mutter Natur ein wahrhaft grandioses Werk geschaffen. Felsen von solcher Dimension, Farbe und Form – ich bin hin und weg. Und würde sogar glatt sagen, dass der Kings Canyon für mich noch imposanter war als Uluru oder Kata Tjuta.
Nach diesem beeindruckenden Highlight geht der Weg langsam bergab. Wir nähern uns dem Ende unserer tollen Expedition. Allerdings ohne dass die landschaftliche Schönheit nachlassen würde: Immer und immer wieder ragen bizarre Formen aus dem roten Fels empor. Und als wir um eine Ecke biegen, öffnet sich der Blick über das weite Land.
-
Als sich der Pfad öffnet, schwebt unser Blick über die Ebene des Outbacks. Platz so weit das Auge reicht.
-
Solche abstrakten Felsen säumen auch gegen Ende noch den Weg – die Natur lässt sich immer wieder was Neues einfallen.
-
Und dieser Felsen gleicht einem überquellenden Schokoladenmuffin, der in der Grundfarbe etwas ins Rote gerutscht ist.
Dies war eine würdige Abschlusstour für unser Outback-Abenteuer. Der Kings Canyon ist durch und durch wundervoll und hält andauernd neue Überraschungen bereit. Er war – wie eigentlich die gesamte Tour – unglaublich schön.
Australien ist ein faszinierendes Land. Das weiß ich seit Kindertagen. Und unter anderem deswegen bin ich zur Zeit hier.