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AUSTAUSCHJAHR

Da wählt also die einflussreichste und mächtigste Nation der Welt den Mann, der für die nächsten vier Jahre ihr Präsident sein und damit die Geschicke des Landes (und der restlichen Welt) lenken soll, und auf der Titelseite Australiens größter Zeitung liest man über – ein Pferderennen.

Kein Scherz.

2012-11-07 Titelseite Herald Sun - IMG_7680-3

Seeeeehr wichtige News.

Ich bin ungewöhliche Feiertage inzwischen ja geradezu gewohnt, aber bisher dachte ich, die Zelebrierung des Geburtstages des Monarchen (!) eines circa 16.000 Kilometer (!!) entfernten Landes, mit dem man verfassungstechnisch außer dem formalen Staatsoberhaupt nix mehr zu tun hat, wäre der Höhepunkt gewesen. Naja – gestern wurde ich eines besseren belehrt: Die britische Gehirnmanipulation Kulturvererbung Einflussnahme ging sogar so weit, dass man für den Melbourne Cup – so heißt die Veranstaltung – einen Victoria-weiten Feiertag ausrief!

Zugegeben, dieses Rennen ist eines der renomiertesten seiner Art und mit etwas über 6 Millionen australischen Dollar auch nicht gerade klein dotiert. Aber hallo?! Es ist ein Pferderennen. Ein Pferdörennöööön!!

Die Leute hier scheinen jedoch geradezu davon besessen zu sein… Es waren ungefähr 106.000 Zuschauer direkt vor Ort, knapp 2,7 Millionen verfolgten das Spektakel live im TV und schlappe 150 Millionen Dollar wurden beim Wetten auf den Kopf gehauen. Nicht von schlechten Eltern, diese Zahlen.

Fernsehpublikum Melbourne Cup - Visualisierung Wilhelmshaven

So viele Leute haben sich das angesehen. Die Legende ist völlig willkürlich gewählt.

Naja, vielleicht muss ich das ganze im Verhältnis sehen. Bei uns in Deutschland steht am letzten Bundesliga-Spieltag, beim DFB-Pokalfinale oder während des WM-Endspiels auch das ganze Land Kopf, die Amerikaner fröhnen ihrem Super Bowl und in Indien wird man bei Cricket ganz verrückt. Und das man für solch ein Sportereignis einen Feiertag hat, das… kommt vermutlich daher, dass… Australier gerne Feiertage haben! :D ;)

Für’s Protokoll: Gewonnen hat Green Moon.

(PS: Zum Thema “Stellenwert der Politik” hab ich vor kurzem dieses Zitat auf Facebook gelesen, das die Situation ganz gut trifft: “POLITICS IN USA: Everyone going ape shit, 3 fucking debates, a black guy and some rich cunt. POLITICS IN AUSTRALIA: A red headed chick and a speedo wearing idiot, no one really gives a flying fuck, voting’s compulsory.”)

(PPS: “ape shit” = völlig verrückt, “cunt” = Person, “chick” = Frau, “no one gives flying fuck” = niemanden interessiert’s. Für den Fall, dass ihr mit australischer Umgangssprache nicht vertraut seit. ;-) )

AUSTAUSCHJAHR

Das Märchen von der Klemmmappe und ihren fünf Landkarten-Freunden

Es war einmal eine australische Klemmmappe, die versammelte ihre fünf Landkarten-Freunde um sich. Als sie so zusammen beim Tee saßen, unterhielten sie sich darüber, was sie in ihrem Leben noch einmal erleben wollten. “Europa!”, riefen die Karten, “Europa, das wäre nochmal ein großes Abenteuer!”

Gesagt, getan: Gemeinsam mit der Klemmmappe begaben sie sich in die Hände eines Reiseunternehmens, das ihnen eine schnelle Überfahrt auf die andere Seite der Welt versprach und machten sich voller Zuversicht auf den Weg. Trotz aller Versprechen entpuppte es sich jedoch als eine endlos anmutende Fahrt, die sich immer weiter in die Länge zog. “Was geschieht mit uns? Was geht hier vor?”, fragten sie sich; und auch ihre Familien zuhause waren ein wenig besorgt, weil sie so lange nichts von ihnen hörten. Es schien ihnen, als sei eine halbe Ewigkeit vergangen, als sich ihre Kabinentür endlich öffnete und sie das unbekannte Licht der nördlichen Hemisphere erblickten.

Das Märchen von der Klemmmappe und ihren fünf Landkarten-Freunden - IMG_7599-3

Und was sahen ihre Augen? Sie waren im schönen Ort Münster gelandet! Das war zuerst natürlich ein Grund zu großer Freude – doch nachdem sie das aktuelle Datum erfahren hatten, war ihnen gar nicht mehr so freudig zumute. So lange hatten sie doch gar keinen Urlaub genommen! “Au weia, das wird Ärger geben”, dachten sie sich und sagten lieber schnell ihrem Freund im fernen Australien Bescheid, dass dieser ihrem Arbeitgeber die Lage erklären sollte.

Trotzdem nahmen sie sich drei Tage Zeit, diesen Flecken Deutschlands genauer zu erkunden – sie wollten die Reise ja schließlich nicht umsonst gemacht haben! Sie sahen so einiges: Offene Computer, grüne Büropflanzen, Tassen voller Kaffee. Bei der Innenbesichtigung einer Ablichtungsfabrik führte dieser Europa-Trip sogar zu ihrer Erleuchtung! Endlich erkannten sie den Sinn ihres Lebens und kamen zu dem Schluss, dass sie das soweit ziemlich gut taten.

Dann war es jedoch an der Zeit, ins Land der Kängurus zurückzukehren. Sie alle freuten sich bereits sehr darauf, nach ihrer Rückkehr ihrem Lebenssinn wieder ausgiebig dienen zu dürfen. Nur einer war von Deutschland so angetan, dass er spontan beschloss, dort zu bleiben. Nicht, dass er nicht schon vorher einmal mit der Auswanderung geliebäugelt hätte. Aber jetzt, wo sich ihm eine solche Chance bot, packte er das Glück beim Schopfe und machte seinen Traum wahr, denn man sagte ihm, dass er seinen Lebenssinn auch hier gut erfüllen könne.

Die verbliebenen vier Freunde brachen mit ihrer Klemmmappe wieder zur Rückreise auf. Um den Ärger mit ihrem Chef in Grenzen zu halten, beschlossen sie zähneknirschend, noch ein paar Euronen draufzulegen, um halbwegs rechtzeitig wieder anzukommen. Diesmal war ihre Kabine zwar in einem hässlichen Braun gestrichen, aber mit angenehmen Polstern und einem hübschen “Eil International”-Aufkleber ausgestattet, sodass sie dieser Überfahrt positiv entgegenblickten.

Doch ihr Reiseunternehmen besserte sich nicht. Während sie durch die Welt befördert wurden – eingepfercht in eine enge Kabine, herumgeschubst von lustlosen Angestellten, den Einschlägen von anderen Mitreisenden wehrlos ausgesetzt – grübelten sie oft darüber, wo auf diesem Globus sie sich wohl grade befanden. “Schon wieder so ewig? Werden Touristen denn jetzt nur noch abgezockt??”, ging es ihnen durch den Kopf.

Am 1. November 2012 trafen sie endlich wieder in ihrer lieben Heimat ein, sodass ihre Odyssee nach 37 Tagen ein Ende nahm.

Insgesamt waren sie allerdings nicht zu traurig: Sie hatten den Widrigkeiten getrotzt, ein erlebnisreiches Abenteuer gehabt und sogar den Sinn ihres Lebens entdeckt – insgesamt resümierten sie positiv über diesen aufregenden Trip. Auch ihr Chef sah es mit einem Lächeln, denn dank eines Deals mit der Ablichtungsfabrik konnten sie ihrem Lebensziel ab sofort sogar noch umfangreicher dienen. Und das machte alle Beteiligten froh.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann landkarten sie noch heute.

Ich hätte natürlich auch einfach schreiben können, dass ich über die Ferien ein paar Australien-Karten von meiner Schule ausgeliehen und kurzerhand zum Einscannen zu meinem Onkel nach Münster geschickt habe, das Hin-und-Hergeschicke dann allerdings etwas länger dauerte und die Karten so erst gestern (endlich!) wieder hier eingetroffen sind. Aber das wäre ja langweilig gewesen. :D